Seit Monaten sehe ich dem morgigen Tag mit gemischten Gefühlen entgegen. Nun liegen zwischen der traulich gewohnten rosafarbenen Windelwelt und der Rückkehr in das professionelle Daimler-Umfeld nach einem Jahr Babypause nur noch wenige Stunden. Natürlich bedient mein Gewissen die bekannten Klischees: Ist Hannah zu jung für die Kita? Bin ich eine schlechte Mutter, weil die Eingewöhnung mein Mann übernimmt und künftig Erzieherinnen mein Kind betreuen? Werde ich meine zwei Kinder, die Arbeit, mein Fernstudium und die ganzen Wäscheberge ohne Burn-out managen? Entschlossen schiebe ich die Zweifel beiseite, denn ich möchte zurück in meinen Beruf. Aufgrund meiner Phobie vor intellektueller Unterforderung habe ich vor vier Monaten während der Elternzeit ein Fernstudium begonnen. Mit dem Vorsatz, mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, trete ich der neuen Situation gut gewappnet entgegen.
Mein alter Job bei der Daimler FleetBoard GmbH hat mich immer herausgefordert und Spaß bereitet. Die 100%ige Daimler-Tochter gehört zu Daimler Trucks und vertreibt weltweit wirtschaftliche Telematiklösungen für Nutzfahrzeuge. Die internationale Pressearbeit, das Jonglieren mit Texten, der Kontakt zu Fachjournalisten gehören zu meinem Aufgabengebiet. Ich freue mich, mit 24 Wochenstunden wieder einsteigen zu dürfen (Mo-Do à 6 Stunden), ein Teil der Arbeit kann bei Bedarf aus dem Homeoffice erledigt werden. Dieser Umstand ermöglicht Flexibilität bei mehr als 35 Schließtagen des städtischen Kindergartens (exkl. Streiktage). Da ich viele Frauen kenne, denen in anderen Unternehmen aufgrund ihres Teilzeitwunsches eine Rückkehr in die alte Tätigkeit verwehrt wird, bin ich doppelt froh um diese Handhabe.
“Herzlich willkommen zurück “
Das erste Mal seit einem Jahr fühlen meine durch flache Schuhe verwöhnten Füße wieder Pumps unter den Sohlen. Das klassische Business-Outfit fühlt sich nach einem Jahr Schlabberlook total overdressed an. So betrete ich die heiligen FleetBoard Hallen im Industriegebiet Stuttgart-Vaihingen. Mein Daimler-Ausweis funktioniert noch und ich fahre in das 5. OG. Dort erwarten mich derselbe grau-melierte Teppichboden, das Kommunikationsbüro, noch immer ein Sammelbecken für Werbemittel und Broschüren aller Art, und die gute alte Jura-Kaffeemaschine – wie habe ich sie vermisst. Erinnerungen an die vergangenen sieben FleetBoard Jahre dringen in mein Bewusstsein und es ist schön, wieder an „Board“ zu sein…
Nach kurzer Zeit wird meine Rückkehr-Euphorie jäh gebremst: Wer sind all die unbekannten Gesichter? Die Namen an den meisten Bürotürschildern kenne ich nicht. Bin ich hier richtig? Nach einem herzlichen Willkommen des Kommunikations- teams stelle ich fest, dass mir die fachlichen Details von FleetBoard im neuen Actros, Telematik im Bus oder der internationalen Expansion des Unternehmens komplett fehlen. Plötzlich habe ich gefühlte drei Jahre auf einem anderen Stern gelebt. Das dynamische Wachstum des Telematikmarktes, die vielen neuen Kollegen auf neuen Stellen in neuen Büros, die Eroberung neuer Märkte und Geschäftsfelder: Alles neu und ich versteh kein FleetBoardisch mehr…eine Katastrophe! Nach einer Woche Einarbeitungszeit raucht mein Kopf vor lauter Input: Werde ich hier je wieder durchblicken?
„Gut“, dass ich gleich zu Beginn für ein internationales Presseprojekt verantwortlich bin: FleetBoard hat einen international renommierten Frost & Sullivan Award gewonnen. Die Abstimmungsgespräche finden natürlich auf Englisch statt. Holpernd nehme ich Fahrt auf und darf meine Pressearbeit bei der offiziellen Award-Verleihung in London fortsetzen. Ein kleiner Kulturschock: Der wenige Wochen dauernde Shift zwischen dahinplätschernder Routine von Heim und Herd und der internationalen Vermarktung des Awards für FleetBoard in der britischen Metropole…
Die guten, alten Zeiten in der Daimler Sterntaler-Kita…
Nach Abschluss des Projekts klopfe ich mir zufrieden auf die Schulter. Doch mein Höhenflug wird am Mittwoch, 13.10 Uhr, vom Anruf des städtischen Kindergartens unterbrochen: „Ihre Kinder warten. Wir schließen heute um 13 Uhr, Personalversammlung der Stadt!“ Das ist mir total entfallen und ich muss noch mindestens eine halbe Stunde fahren, ehe ich meine armen, vergessenen Kinder abholen kann. Natürlich hetze ich los, die halbfertige Pressemitteilung kann ich Zuhause zu Ende schreiben. Wie lob’ ich mir die gute alte Zeit, als unser Großer in der Daimler Sterntaler-Kita in Möhringen untergebracht war. Da gab es höchstens 5 Schließtage und man wurde nicht ausgeschimpft, wenn man zu spät kam. Die Kinder erhielten täglich Biokost und eine Portion Englisch. Man achtete auf Tischmanieren und verbrachte jeden Tag an der frischen Luft. Unvorstellbar das antiquierte Betreuungskonzept der städtischen Kindergärten in der heutigen Zeit. Wo doch kaum eine Tageszeitung nicht über Frauenquote, Teilzeit und ausgebaute Kinderbetreuung berichtet…
Umso mehr freue ich mich, bei einem Arbeitgeber angestellt zu sein, der Berufsrückkehrerinnen tatsächlich den Weg in eine faire und gleichberechtigte Arbeitswelt ebnet, moderne Kinderbetreuungs- und Teilzeitkonzepte real umsetzt. Die Organisation des Tagesablaufs bleibt natürlich anspruchsvoll. Nach knapp 2 Monaten Arbeit sollte die ambitionierte Berufsrückkehrerin bei kleinen Rückschlägen geduldig bleiben, sich stets um Inseln der Ruhe bemühen und in einen Organizer investieren, zu dem alle Familienmitglieder Zugriff haben. Und das Gewissen? Meine Tochter geht gerne in die Kita. Mein Leben hat durch neue Themen an Fülle gewonnen, was sich positiv auf meine Ausgeglichenheit auswirkt. Die nun praxiserprobte Erfahrung, zwei Kinder und Kegel unter einen Hut bringen zu können, vermittelt ein tolles „Ich-kann-alles-schaffen-Gefühl“.